Tourenbericht: Hochtour in den Berner Alpen

08. August – 12. August 2021
JDAV Sektion Amberg

Regen, Schnee, kalt, Hagel, wieder Schnee. Keine guten Aussichten, die fast das ganze Jahr auf Hochtourengeher in der Schweiz warten. Fast trügerisch gut wirkt es, als wir am Sonntag aufbrechen und laut Wetterbericht eine Woche Sonne auf uns warten soll.

Die Vorbereitung und Tourenplanung, die vor allem Niklas oblag, ist einen Tag zuvor beinahe noch gesprengt worden, weil wir feststellen müssen, dass es besser wäre, die Abfahrt von „ca. 09. August“ im Vorfeld auf „08. August“ zu präzisieren – Bene hätte am Sonntag eigentlich arbeiten müssen. Wie durch ein Wunder (und das kaputte Gesundheitssystem), gibt es am Sonntag doch keine Arbeit für ihn und der Abfahrt steht nichts mehr im Wege.
Es ist sechs Uhr in der Früh und wir verlassen gerade Amberg. „Das läuft ja erstaunlich gut“, stellt Niklas fest und wir sind alle putzmunter, trotz des kurzen Schlafs – angetrieben durch die Motivation, heute Nachmittag noch auf die Oberaarjochhütte aufzusteigen. Doch jetzt liegen erstmal sechs lange Stunden im Auto vor uns. Außerdem müssen wir noch David in Ulm am Bahnhof abholen. Der hatte seine Reise schon zwei Stunden vor uns begonnen.
Wir kommen gut voran, zumindest im Vergleich zur Deutschen Bahn, auf die wir ein wenig warten müssen. Doch auch das Warten hat ein Ende und dann heißt es endlich: Nächster Stopp Bodensee, Vignette kaufen. Ein kurzer Schlenker durch Österreich und ab in die Schweiz. In Andermatt müssen wir noch Geld wechseln. Jetzt nur noch über den Furkapass und den Grimselpass wieder hoch. Dort pro Auto 40 Franken für das Parkticket am Oberaarsee in Münzen bereithalten. Wer hat so viel Kleingeld?
Also gut, um 13:15 Uhr haben wir es schließlich zum Parkplatz geschafft. Nach Umziehen und Proviant auf die Rucksäcke verteilen kann es gegen kurz nach zwei endlich losgehen. Der Spaziergang zum hinteren Ende des Sees erweist sich als reichlich unspektakulär und öde. Doch dafür ist das erste, was wir vom Gletscher zu sehen bekommen umso faszinierender. Ein riesiges Gletschertor, dessen Ende irgendwo tief unter dem Oberaargletscher, außerhalb unserer Sichtweite, liegen muss.
Der Gletscher ist aper, und auch wenn es für Bene und Viki das erste Mal auf dem Eis ist, kommen wir sehr gut voran. Mit Beginn der Schneeauflage seilen wir uns an und ziehen die Steigeisen an. Es ist mittlerweile vier Uhr am Nachmittag und wir haben immer noch gut 600 Höhenmeter vor uns. Trotz dem von Wolken bedeckten Himmel ist der Schnee schon weich und der Aufstieg wird immer mühsamer. So traben wir noch zwei Stunden dahin, immer weiter in den Nebel hinein, der mittlerweile das Oberaarjoch samt Oberaarhorn und alles umliegende komplett verschlungen hat. Inzwischen ist es an der Zeit auf der Hütte anzurufen und um ein verspätetes Abendessen zu betteln, was uns glücklicherweise gewährt wird. Dann setzt der Wind ein, wir haben zwar wieder Sicht, aber er ist beißend kalt. Die letzten 200 Höhenmeter müssen wir alle nochmal die Zähne zusammenbeißen, um uns noch bis auf das Joch zu schleppen.
Steigeisen von den Schuhen, notdürftig das ganze Material verstauen und ab zur Hütte. Dort heißt man uns zum Glück gleich mit warmer Suppe Willkommen und wir erfahren, dass wir nicht die einzigen sind, auf die man wartet. Vom Essen nimmt sich jeder so viel er kann, um Kraft für den Nächsten Tag zu haben. Direkt danach geht es in die Betten.
Bilanz des Tages: Ein Bergsteiger mit beinahe erfrorenen Fingern (Handschuhe sind völlig überbewertet), unsere Bergsteigerin am Ende ihrer Kräfte (auch das Abendessen, welches uns doch noch warmgehalten wurde, verließ sie kurz nach der Einnahme wieder) und auch der Rest der Gruppe ausreichend erschöpft.
Am nächsten Morgen klingelt der Wecker um 06:00 Uhr. Ausgeschlafen und voller Tatendrang sitzen wir beim Frühstück, die Erschöpfung vom letzten Abend ist verflogen. Kurz darauf machen wir uns auf den Weg auf das Oberaarhorn.
Die ersten Meter von der Hütte weg sind sehr steil, doch dann windet sich der Weg geschickt durch die Schutthalde dem Gipfel entgegen. Im oberen Teil heißt es nochmal Steigeisen auspacken und gemeinsam am Seil erklimmen wir in Serpentinen den Gipfel.
Bei bestem Wetter haben wir eine wunderbare Aussicht bis ins Wallis, das Matterhorn glitzert zwischen Monte Rosa und Weisshorn hervor. Ein wunderbar weißer Anblick, der deutlich macht wie viel mehr Schnee dieses Jahr in den Bergen liegt. Zu unserer Rechten können wir auch schon einen Blick auf unser großes Ziel, das Finsteraarhorn erhaschen, dessen Ostseite in der Morgensonne leuchtet.

Der Abstieg zurück zur Hütte ist auf dem gleichen Weg, auf dem wir den Berg erklommen haben. Durch den mittlerweile weichen Schnee geht es recht zügig nach unten. Schließlich noch durch das gut markierte Blockgelände, dann stehen wir schon wieder auf der Hüttenterrasse. Doch viel Zeit zum Verschnaufen haben wir hier auch nicht, da noch ein langer Fußmarsch bis zur Finsteraarhornhütte vor uns liegt. Also für jeden zwei Brote mit Käse, die Rucksäcke mit der restlichen Ausrüstung aus der Hütte gepackt und los geht es. Die Leiter hinunter auf das Oberaarjoch und von hier aus der Spur folgend bis hinter den Abbruch des Galmigletschers.
Durch die Nachmittagssonne, die hier voll in die Felswand strahlt, löst sich zu unserer linken ein Auto- großer Felsblock, rollt über den Gletscher und schlägt einige hundert Meter tiefer auf einer Felsplatte auf. Ein wahnsinniges Spektakel! Und durch die Verzögerung des Knalls wird uns nochmal klar, welche Dimensionen die Landschaft hat, von der wir hier umgeben sind.
Wir haben immer noch ein Stück Abstieg und den Gegenanstieg über den Fieschergletscher vor uns. So zieht sich unser Weg weiter durch die weise Landschaft. Unten angekommen ist der Gletscher wieder aper. Hier können wir zwei andere Seilschaften sehen, die für ihren Weg durch die Spaltenzone reichlich vor und zurück laufen müssen. Also entscheiden wir uns zu Beginn einen kleinen Bogen zu laufen, um einen großen Teil des Labyrinths von Spalten zu vermeiden. Der Plan geht auf und wir kommen gut voran. Kurz vor dem zweiten steileren Stück bekommt der Gletscher wieder eine Schneeauflage. Durch das Beobachten der anderen können wir auch hier wieder unseren Weg optimieren und haben sie oben im Spaltengebiet auch fast eingeholt.
Der Schnee bildet aktuell noch stabile Brücken über die Spalten, doch gelegentlich muss man doch mal einen kleinen Sprung machen. Und zack: Viki bohrt sich beim Springen über die allerletzte Spalte die Frontalzacke ihres Steigeisens oberhalb des Schuhs in den Knöchel. Der Schreck ist groß, aber nach einer oberflächlichen Begutachtung entscheiden wir uns, lieber noch schnell zur Hütte zu gehen, um dort weiter zu schauen.
Jetzt hat der Weg allerdings noch etwas ganz Spezielles für uns auf Lager. Das Schmelzwasser kann hier im flachen Gelände nicht gut abfließen und verwandelt so den Schnee in matschiges Softeis. Doch das kann uns jetzt auch nicht mehr aufhalten, da die Hütte schon längst in Sicht ist. Und so kommen wir auf die Spur der Grünhornlücke und sind auch kurz darauf am Gletscherrand.
Um 17 Uhr sind wir schließlich auf der Finsteraarhornhütte angekommen. Wir stellen fest, dass Vikis Knöchel doch deutlich angeschwollen ist & nach einer Erstversorgung durch den mitreisenden Bergdoktor Lueger wird für sie Bettruhe angeordnet. Bis zum Abendessen haben wir alle bisschen Zeit um durchzuschnaufen und alle schauen entspannt dem nächsten Tag entgegen.
Heute bleiben wir lange liegen. Frühstück gibt es für uns um 7 Uhr, da wir uns nichts Vorgenommen haben. Gegen 9 Uhr ist David, Bene und Niklas dann doch langweilig und wir fragen die Hüttenwirtin, ob sie uns einen schönen Gipfel für den Nachmittag empfehlen kann. Auf ihren Rat hin brechen wir auf, um den Wysnollen zu besteigen.
Unser Weg führt uns einmal quer über den Fieschergletscher, vorbei an einigen Spalten, eine Schneeflanke hinauf. Wieder einmal finden wir eine perfekte Spur vor, deren Schöpfer wir im oberen Teil begegnen.
Die letzten paar Meter sind dann nochmal erstaunlich anstrengend, da die Mittagssonne den Schnee hier schon stark aufgeweicht hat. Wir verlieren leicht an Tempo, als Niklas und David bei jedem Schritt knie- bis hüfttief im Schnee versinken, während Bene engelsgleich über die Schneedecke gleitet – der „Schuhgröße zu Körpergewicht – Koeffizient“ ist hier scheinbar einfach besser. Aber irgendwie haben wir dann doch, zwar auf allen vieren und wühlend, aber stolz unser Ziel erreicht. Zur Belohnung gibt es sogar Handyempfang und Gipfelschokolade auf dem Gipfel. Wir machen eine ausgiebige Pause, bevor wir uns wieder in den tiefen Schnee stürzen, um abzusteigen.
Am Rückweg geht es dann wieder vorbei an beeindruckenden Spalten, in die, bis auf kurzzeitig Benes Bein, niemand von uns stürzt. Die frische Abstiegsspur der anderen Seilschaft endet plötzlich vor einem Loch, doch ein Blick in die Tiefe verrät, dass hier niemand liegen geblieben ist. Nach einer guten Stunde stehen wir wieder auf der Hüttenterrasse, wo wir gemeinsam einige Brote essen.
Die Spaltenbergung steht für uns dann auf dem Programm. Gemeinsam mit Quirin, der wieder zu uns stößt, bauen wir T-Anker, installieren Flaschenzüge und ziehen Niklas erfolgreich aus der Spalte, in die er sich wagemutig stürzte. Beim zweiten Mal rettet Niklas sich selbst, da das Abendessen bereits ruft.
Nach dem Essen schauen wir uns noch die Route für den nächsten Tag und den Wetterbericht an und packen unsere Rucksäcke, damit wir in der Früh gleich loslaufen können. Um noch möglichst viel Schlaf zu bekommen, gehen wir alle früh ins Bett, denn wir wollen fit für den 4000er sein.
Das schrille Kreischen des Weckers reißt uns aus dem Schlaf. Obwohl wir wussten, worauf wir uns einlassen, fühlt sich das gerade unglaublich früh an. Das Frühstück macht zum Glück munter. Doch bis alle ihre Schuhe angezogen haben, vergeht doch ein wenig Zeit.
Um fünf Uhr laufen wir endlich los, durch das optimal markierte Felsgelände hinter der Hütte vorbei am alten Hüttenplatz bis zum Beginn des Gletschers, wo wir Steigeisen anziehen und anseilen. Bis hier haben wir bereits 300 Höhenmeter zurückgelegt. Die nächsten 300 gehen fast genauso schnell, und so stehen wir um sieben Uhr in einem leichten Schneesturm am Frühstücksplatz. Das Wetter hat heute leider entgegen der Vorhersage nicht perfekte Gipfelbedingungen für uns in petto.
Für lange 15 Minten stehen alle Seilschaften still und müssen abwarten, bis das Gröbste vorbei ist. Dann als der Schneefall aussetzt, treten einige den Rückzug an, während andere weiter gehen. Von den vielen Stirnlampen, die am Morgen hinter uns zu sehen waren, kommen erstaunlich wenige bis zu uns. Wir schauen allerdings gebannt zum Hugisattel, ob Seilschaften in den Gipfelgrat einsteigen. Nach längerem Zögern wagen es die ersten tatsächlich. Doch das Wetter schaut nur wenig besser aus und die Motivation in unserer Seilschaft ist nach dem langen Warten dahin. So entscheiden wir, den Rückzug anzutreten.

Durch die Änderungen unserer Pläne, überlegen wir gleich heute noch zurück zur Oberaarjochhütte zu gehen, um den Rückweg für Viki zu erleichtern. Tatsächlich gibt es dort gerade ausreichend Platz für uns fünf. So marschieren wir wenig später, bei wieder wunderbarem Wetter, los. Diesmal nicht über den Fieschergletscher, sondern über den Geröllhang Südöstlich der Hütte, um den nassen Schnee und die erste Spaltenzone zu vermeiden.
Zuerst ist der Weg noch klar markiert, doch als die Abstände der Steinmännchen immer größer werden müssen wir uns selbst einen Weg hinunter auf den Gletscher suchen. Was jedoch ebenfalls kein großes Problem darstellt. Unten angekommen seilen wir uns wieder an und schlängeln uns geschickt durch die zweite Spaltenzone.
Der Übergang auf den Galmigletscher läuft problemlos, es steht nur noch ein Anstieg von 550 Höhenmetern zwischen uns und der Oberaarjochhütte. Dieser zieht sich wieder in die Länge. Um 17:30 Uhr haben wir es dann doch alle gemeinsam noch auf die Oberaarjochhütte geschafft. Diesmal pünktlich zum Abendessen.
Für die Übernachtung stellen wir fest, dass wegen der vollen Hütte für uns nur noch das Bergführer-Zimmer frei ist – über ein eigenes Quartier sogar mit Waschbecken beschweren wir uns natürlich auch nicht.
Bei einem wunderbaren Abendessen, einigen intensiven Runden Uno, Gesprächen mit anwesenden Schweizern („Frankenjura? WOLFGANG GÜÜLICH!“) und einem letzten Sonnenuntergang hinter dem Finsteraarhorn lassen wir den Abend ausklingen. Und so ganz nebenbei schmieden David, Bene & Niklas schon wieder Pläne für den nächsten Morgen.
Putzmunter, hellwach und ausgeschlafen Sitzen wir am nächsten Morgen beim Frühstück, mit der Gewissheit, dass dieser der letzte Tag für uns in eben jener zauberhaft schönen Landschaft sein wird, die man die Berner Alpen nennt.
Doch das soll die Stimmung nicht trüben. Direkt nach dem Frühstück marschieren David, Bene & Niklas los, denn wir wollen heute Vormittag noch die Studerhornüberschreitung machen.
Der Weg bis zum Einstig am Westgrat zieht sich durch die weiße Ebene. Doch jetzt kann der Spaß beginnen. Durch leichte Felspassagen über noch morgentlich feste Schneefelder bis hoch zum Gipfel kraxeln wir empor. Die schönste Tour bis jetzt! Und ein Blick nach Osten, wo der Grat weiter geht, verrät sie ist noch nicht vorbei. So stapfen wir durch den weichen Schnee der Osthänge hinab, um in den Anstiegen wieder feinsten Firn vorzufinden. Das geht eine Weile so.
Nach einer weiteren traumhaften Felsstelle stehen wir auf dem Altmann. Von hier aus möchten wir wieder zur Hütte, also weiter den Grat hinab, einmal abgeseilt und nach wenigen Metern stehen wir auf dem Gletscher. Der Rest geht erstaunlich schnell und schon stehen wir auf dem Oberaarjoch.
Nach einer kurzen Stärkung an der Hütte, wo auch Quirin und Viki auf uns warten, treten wir den Finalen abstieg zurück zum Oberaarsee an.

Derselbe Weg, für den wir im Aufstieg so ewig gebracht haben, fliegt jetzt förmlich an uns vorbei und – nach nicht einmal zweieinhalb Stunden haben wir es tatsächlich schon geschafft. Ein letzter Blick zurück auf den Gletscher hinter uns, ein letztes Selfie, und schon ist unsere Hochtour unter besten Wetterbedingungen zu Ende.

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